23. 11. 2024
Mit Volodymyr große Aprikosen-Croissants zum Frühstück, konzentriertes Arbeiten für einen Video-Dreh im Historischen Museum Korjukiwka mit Kateryna und Alina, Abendessen bei Kateryna und Volodymyr.
Wieder in Korjukiwka! Das Hotel und seine Umgebung sind mir nicht mehr fremd. Nur dass jetzt überall Eis und Schnee sind.
Blick zum Hotel hinten rechts.
Mit der Geschichte und der Entwicklung der Stadt Korjukiwka bin ich schon vertrauter, nachdem die im Sommer 2024 von der Direktorin des Museum veröffentlichte Broschüre „Korjukiwka, Heimat meines Herzens“ auf Deutsch übersetzt und in Bildern veröffentlicht ist.
Blick aus dem Hotelfenster
Mit Volodymyr bin ich um 9 Uhr zum Frühstück verabredet in der Pizza DI Roma, Cafe und Restaurant zugleich. Direkt daneben im gleichen Haus befindet sich eine Bäckerei. Es gibt ordentlichen Kaffee, sehr schön. Volodymyr bringt aus der Bäckerei große Croissants mit Schokoladen-Füllung und mit Aprikosen-Füllung. Zwei von diesen großen Croissants sind eine Hauptmahlzeit.
Um 10 Uhr bin ich mit Kateryna / Катерина Онищук und Alina im Historischen Museum Korjukiwka verabredet. Wir, oder besser Kateryna und Alina, wollen ein Video drehen über das Museum. Kateryna ist studierte Historikerin und arbeitet im Museum als wissenschaftliche Mitarbeiterin, die auch historisch forscht. Alina habe ich als Betreuerin im Feriencamp in Wismar im Juni 2024 und als Krankenschwester kennen gelernt. Alina arbeitet im Krankenhaus von Korjukiwka in der chirurgischen Abteilung. Zum Krankenhaus Korjukiwka gibt es auch eine Darstellung in der Broschüre „Korjukiwka – Heimat meines Herzens“.
Jetzt erscheint Alina hier mit semi-professioneller Kamera-Ausrüstung und nebenbei erfahre ich, dass sie quasi nebenberuflich als Fotografin aktiv ist, auf ihrem Instagram-Account wird das auch deutlich. Das sie tolle Fotos macht, hatte ich schon in Wismar mitgekommen. Wegen der Idee, ein Video auf Deutsch zu drehen und meines Wunsches, im Museum Bilder für Veröffentlichungen machen zu können, hatte ich auf Katerynas Rat hin einen Brief an die Direktorin des Museums geschrieben und eine sehr freundliche, geradezu diplomatisch Form vollendete Antwort erhalten.
Das Historische Museum Korjukiwka stellt nicht nur die regionale Geschichte allgemein da, sondern dokumentiert und erläutert insbesondere das „Korjukiwka-Massaker“ der deutschen Wehrmacht und ungarischer Hilfstruppen Anfang März 1943. Kateryna : "Dieses Verbrechen wird in der deutschen Öffentlichkeit noch nicht ausreichend wahrgenommen, es liegen nur wenige Publikationen in deutscher Sprache vor. Derzeit steht das Thema noch im Fokus vor allem osteuropäischer Forscher und Experten, was auf ein erhebliches Informationsvakuum hinweist." Diese Anscht wird von maßgeblichen Osteuropa-Historikern geteilt.
Während Verbrechen der Deutschen Wehrmacht in Frankreich und Italien seit Jahrzehnten Gegenstand des gemeinsamen Gedenkens in Deutschland und Frankreich und Italien auf höchster Ebene sind, hat Deutschland Korjukiwka lange Zeit ignoriert. Nach Besuchen des deutschen Botschafters hat mit Bundespräsident Steinmeier erstmals Oktober 2021 ein höchster Repräsentant Deutschlands den Ort besucht. Steinmeier nahm am 6. Oktober 2021 auf Einladung des ukrainischen Staatspräsidenten, Wolodymyr Selensky, an der Gedenkzeremonie im Babyn Yar Holocaust Memorial Center bei Kyjiw zum 80. Jahrestag der Massenmorde von Babyn Jar teil (Rede von Steinmeier in Babyn Yar). Danach besuchte Steinmeier die Stadt Korjukiwka in der Nordukraine, um dort an die zivilen Opfer der deutschen Besatzung in der Ukraine im Zweiten Weltkrieg zu erinnern.
Nach dem Beginn der russischen Vollinvasion auf die Ukraine, Russland führt bereits seit Anfang 2014 Krieg gegen die Ukranie, besuchte Bundespräsident Steinmeier im Oktober 2022 erneut Korjukiwka und musste Stunden in einem Luftschutzkeller verbringen, weil russiche Raketen im Anflug waren. Nach der russischen Großinvasion war die Stadt Korjukiwka rund 40 Tage von ukrainisch kontrolliertem Gebiet abgeschnitten. Lebensmittelversorgung, Medikamente, Strom- und Telefonnetz - alles war ein Problem. Doch Korjukiwka leistete hartnäckig Widerstand und die Menschen stellten sich todesmutig russischen Panzern entgegen ("Panzer fahren rückwärts - das ist Kojukiwka"). Für den Film auf tagesschau.de auf das folgende Bild klicken.
In dem Beitrag der Tagesschau ist Kateryna mit Bundespräsident Steinmeier im Luftschutzkeller zu sehen zu sehen.
Dieser Besuch Steinmeiers im Oktober 2022 war überschattet von diplomatischen Hindernissen. Der ukrainische Präsident Selenzky hatte Steinmeier, der ja vor seinem Amt als Bundespräsident auch Bundesaußenminister war, wegen dessen früherer Russland-Politik kritisiert. Diese Außenpolitik habe der Ukraine erheblich geschadet.
In der Ukraine spielt das Massaker von Korjukiwka in der nationalen Erinnerung an den zweiten Weltkrieg eine wichtige Rolle. Entsprechend gibt es eine Vielzahl von ukrainischer Literatur zum „Korjukiwka-Massaker“, aber eben nur wenige Aufsätze auf Deutsch.
Im Mai 2024 hatte Kateryna mich auf Deutsch durch das Museum geführt und mir auch viele Fragen auf Deutsch beantwortet. Ich habe damals Bauklötze gestaunt! Kateryna hatte dazu einen deutschen Text ausgearbeitet. So entstand spontan die Idee, ein Video aufzunehmen, in dem Kateryna auf Deutsch durch das Museum führt. Damit lässt sich doch die besondere Geschichte von Korjukiwka für ein deutsches Publikum leichter vermitteln. Filme auf Ukrainisch gibt es bereits.
Aus dem umfangreichen Fundus des Historischen Museums Korjukiwka.
Eine weitere Idee ist, über die Ereignisse in Korjukiwka im März 1943 in Deutschland eine Ausstellung zu zeigen. Eine solche Ausstellung muss natürlich einerseits auf der ukrainischen Seite vorbereitet werden, auf der anderen Seite ist dafür auf der deutschen Seite der Boden zu bereiten. Ausstellungen leben von Bilder, heutzutage auch von Video-Material. Ganz wesentlich kann die Ausstellung mit dem gestaltet werden, was im Museum in Korjukiwka vorhanden ist. Für Kooperationspartner einer Ausstellung in Deutschland sollte das in Korjukiwka vorhandene Material sichtbar gemacht werden.
Kateryna hat für den Video-Dreh ein Skript ausgearbeitet, angepasst an die jeweils beabsichtigten Video-Sequenzen, dessen Text in großer Schrift ich auf einer Unterlage direkt über die Kamera halte, so dass Kateryna ihn gut lesen kann, das Skript im Video aber nicht sichtbar wird. Der Text ist top ausgearbeitet, nur einmal mische ich mich ein, als es um den Gebrauch des Wortes Faschismus im Kontext der NS-Zeit geht.
Es folgen gut zwei Stunden konzentrierte Arbeit. Einstellungen werden ausprobiert, Szenen müssen wiederholt werden, weil es Versprecher gibt, weil ich das Skript nicht so halte, dass Kateryna es gut lesen kann.... Kateryna ist gelegentlich temperamentvoll, aber immer freundlich.
Um 12.30 Uhr ist Schluss. Alina muss zum Dienst ins Krankenhaus, Kateryna nach Hause, wo auch die Kinder warten.
Für den Abend bin ich bei Kateryna und Volodymyr zum Abendessen eingeladen, sie wohnen in einem modernen Mehrfamilienhaus nicht weit von der Schule entfernt, die ich im Mai 2024 kurz besucht habe. Der Weg dorthin erweist sich für mich im Dunkeln aber als schwierig, da das Haus nicht direkt an einer Straße liegt, sondern etwas zurück nur über eine eigene Zufahrt erreichbar ist. Über das Zusenden des Standortes per Messanger finde ich das Haus nicht und so kommt Kateryna mir entgegen und sammelt mich an der Hauptstraße ein. Es ist kalt, ziemlich kalt in Korjukiwka. Aber bald bin ich in der Wohnung, Kateryna hat ein Abendessen unter anderem mit Stampfkartoffeln vorbereitet, hhmm, und ich taue schnell wieder auf.
Wir unterhalten uns sehr gut und lernen unsere persönlichen Geschichten besser kennen, auch Volodymyr ist Historiker. Aber um kurz vor 21 Uhr geht der Abend zuende, denn um 21 Uhr wird der Strom abgestellt. Russische Raketen- und Drohnen-Angriffe zielen vor allem auf die Energieversorgung. Um Überlastungen des Stromnetzes wegen des Ausfalls einzelner getroffener Einrichtungen zu vermeiden, gibt es immer wieder temporäre Stromabschaltungen. Dafür gibt es regelrechte Tabellen, die auf social-media-Kanälen verbreitet werden.
Für meine Frau bekomme ich von Kateryna und Volodymyr ein schönes Präsent mit auf den Weg, schon weihnachtlich.
© Copyright Text und Fotos Gerhard Bley